26.10.2014 – Brandschutzerzieher betreten mit der Übung für Menschen mit geistiger Behinderung neues Terrain

Gelnhaar – In Schulen und Kindergärten ist die Brandschutzerziehung seit Jahren selbstverständlich. Doch dass die Bewohner einer Behinderteneinrichtung jetzt gründlich unterrichtet wurden, wie sie sich bei einem Brand verhalten müssen, war eine Premiere. Als es vor zwei Jahren im Schwarzwald in einer Werkstatt für behinderte Menschen brannte, gab es 14 Tote. Das tragische Unglück ist für alle Verantwortliche Anlass, darüber nachzudenken, wie die Bewohner solcher Einrichtungen auf Brände und das richtige Verhalten im Ernstfall vorbereitet werden können.

Die Behinderteneinrichtung „Heim und Werkstätten Rauher Berg e.V.“ (siehe Kasten) in Gelnhaar fragte bei den Brandschutzerziehern der Städte Büdingen und Ortenberg an, ob eine Brandschutzunterweisung möglich sei. In Kooperation beider Kommunen wurde ein Konzept zur Durchführung erstellt und mit den Verantwortlichen der Behinderteneinrichtung abgestimmt. Geplant wurden drei Unterrichtseinheiten, ein Aktionstag und eine Abschlussübung.

Unterrichtseinheit 1:

  • Geschichte der Feuerwehr
  • Strukturen der Feuerwehr
  • Aufgaben der Feuerwehr
  • Brennbare Stoffe
  • Gefahren eines Brandes (Schwerpunkt Rauch)

Unterrichtseinheit 2:

  • Richtiges Verhalten bei einem Brand
  • Schutzausrüstung der Feuerwehr
  • Wie kann man die Feuerwehr erreichen
  • Notrufnummer und Notruf (5 W-Fragen)
  • Notrufübungen in der Praxis

Unterrichtseinheit 3:

  • Brandursachenvermeidung im Haushalt
  • Rauchwarnmelder
  • Rettungszeichen und Fluchwegbeschilderung
  • Kennenlernen der Brandklassen
  • Funktionsweise von Feuerlöschern
  • Richtiger Umgang mit Feuerlöschern

Aktionstag:

  • Funktionsweise von Aggregaten, Pumpen und Geräten der Feuerwehr
  • Schutzkleidungen der Feuerwehr
  • Schaumherstellung bei der Feuerwehr
  • Armaturen der Feuerwehr
  • Umgang mit Feuerlöschern in der Praxis

Alarmübung:

  • zusammen mit den Feuerwehren Gelnhaar, Usenborn, der Drehleiter Büdingen und des DRK OV Ortenberg.

Heim- und Werkstätten Rauher Berg e. V.

Der Rauher Berg e. V. ist eine Einrichtung für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung. Ziel ist die Integration und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

Die Einrichtung liegt in Ortenberg-Gelnhaar am südwestlichen Rande des Vogelsberges, etwa 50 km nordöstlich von Frankfurt am Main. Sie möchte Menschen mit Hilfebedarf ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit in familienähnlicher Atmosphäre bieten. Die Betreuung und Förderung erfolgt unter Einbeziehung der Anthroposophie.

In der anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten Menschen mit Hilfebedarf in den Arbeitsbereichen Demeter Landwirtschaft und Gärtnerei, Garten- und Landschaftspflege, Holzwerkstatt, Handweberei, Verpackungswerkstatt, Großküche und Wäscherei.

Wohnplätze werden in differenzierten Wohnformen angeboten: Stationäres Wohnen, Stationär Begleitetes Wohnen und Betreutes Wohnen.

Der Gemeinschaft Rauher Berg ist es ein Anliegen, einen Lebensort für Menschen mit und ohne Behinderung zu entwickeln und zu gestalten.

Weiter Informationen unter: www.rauher-berg.de

Mehr als 50 Menschen mit geistiger Behinderung leben und arbeiten in der Einrichtung. Einige wohnen relativ selbstständig in eigenen Wohnungen in Büdingen, wo sie zum Teil auch arbeiten. Andere brauchen deutlich mehr Unterstützung in ihrem Alltag. Entsprechend unterschiedlich ist auch das Wissen der Bewohner des „Rauhen Berges“ über die Gefahren des Feuers und die Arbeit der Feuerwehr. Geplant war eine Unterweisung mit 25 bis 30 Teilnehmern. Dass am Ende über 50 Teilnehmer unterwiesen wurden, zeigt das sehr große Interesse der Bewohner der Einrichtung am Thema Feuerwehr.

Dort lag auch eine der größten Herausforderungen für die Helfer in der Brandschutzerziehung. Denn Erfahrungen, wie man Menschen mit geistigen Behinderungen unterrichtet, gab es im Unterschied zu Schulen und Kindergärten bisher bei der Feuerwehr noch nicht. Und auch eine Gruppe mit so unterschiedlichen Fähigkeiten hatte bisher noch nicht an der Brandschutzerziehung teilgenommen. Immer wieder ist bei Kindern und Menschen mit Behinderungen festzustellen, dass Feuerwehrleute in Schutzausrüstung nicht als Helfer, sondern als Bedrohung wahrgenommen werden. Deshalb war ein wichtiges Ziel des Unterrichts, den Teilnehmern die Angst vor den Feuerwehrleuten zu nehmen und Vertrauen aufzubauen.

Neben der Unterweisung über die Gefahren von Bränden stand auch das richtige Verhalten und der Umgang mit Feuerlöschern sowie eine Alarmübung auf dem Plan. Hier sollten die Bewohner des „Rauhen Berges“ die Feuerwehrleute bei der Arbeit beobachten. Dabei konnten sie sehen, welche Möglichkeiten der Hilfe es in Notfällen gibt. Ausführlich wurden die Übung und die Aufgaben der einzelnen Feuerwehrtrupps erläutert. Genauso wie auch ein echter Einsatz ablaufen würde. Besonders beim Einsatz der Drehleiter, mit der zwei Feuerwehrmänner aus dem dritten Stock geholt wurden, waren die Reaktionen der Teilnehmer zwiespältig. Sie schwankten zwischen der Sorge, dass den Männern nichts passiert einerseits, und der Faszination für das technische Gerät andererseits.

Die Begeisterung der Teilnehmer während des Unterrichts war eine der großen Überraschungen während der Schulung. Die Brandschutzerzieher sprachen den Teilnehmern ein großes Kompliment aus. Bei den Themen Feuerwehr, Verhalten bei Feuer und Rauch rannten sie bei den Teilnehmern offene Türen ein. „Es war faszinierend, wie sich diese Menschen mit einem höheren Hilfebedarf  beteiligten und die hohe Qualität ihrer Beiträge”, so die Meinung der Brandschutzerzieher.

Besonders zu erwähnen ist die gute Zusammenarbeit zwischen den Büdinger und den Ortenberger Brandschutzerziehern. Zwar ist die Zusammenarbeit bei Einsätzen schon Normalität, doch eine Zusammenarbeit bei einer Brandschutzunterweisung war eine Premiere. Beide Gruppen traten bei der Schulung als ein Team auf. Aber auch das Bild der Bewohner des „Rauhen Berges“ wandelte sich während der Brandschutzerziehung. Abgrenzungen und Unsicherheiten beim Umgang  mit Hilfsbedürftigen wurden abgebaut. Diese Veränderung wurde auch beim gemeinsamen Mittagessen deutlich. Es wurde sehr viel gelacht und der Spaß kam nicht zu kurz. „Wenn die Leute viel lachen, nehmen sie auch viel mit“, wissen die Brandschutzerzieher.

Spätestens mit der gemeinsamen Übung fielen die Schranken zwischen den Behinderten und den Feuerwehrleuten. Spontan bedankten sich die Teilnehmer bei den Einsatzkräften. Die abschließende Einladung zum Sommerfest auf dem „Rauhen Berg” kam nicht nur aus Höflichkeit. Alle Bewohner freuen sich auf ein Wiedersehen mit den Feuerwehrleuten.

Eingesetzte Kräfte:
Unterweisungen Teil 1 -3: jeweils 2 Kameraden BSE Stadt Ortenberg

Aktionstag: 6 Kameraden BSE Stadt Ortenberg
                   6 Kameraden BSE Stadt Büdingen

Abschlussübung:
                  Ortenberg 4/48      TSF-W Gelnhaar       (1/5)
                  Ortenberg 4/19      MTW  Gelnhaar         (1/3)
                  Ortenberg 3/41      LF 8 Usenborn          (1/8)
                  Büdingen  1/30       DLK Büdingen           (1/3)
                  19/85  RTW           DRK OV Ortenberg    (1/1) 

20141029 Gelnh BEA-Rauher-Berg
Brandschutzerzieher und Bewohner der Einrichtung "Rauher Berg" in Gelnhaar.

Text und Bild: Lars Henrich, SBI Ortenberg