25.10.2016 - Interview mit Kreisbrandinspektor Lars Henrich

Wetteraukreis (jw) - In Ludwigshafen kommt es auf dem BASF-Werksgelände zu einer Explosion. Zwei Menschen sterben, mehrere werden verletzt. Auch für die Bevölkerung besteht Gefahr, durch aufsteigenden Rauch. Unmittelbar danach wurden die Bürger über die Handy-App Katwarn informiert. In der Wetterau sind es laut Kreisbrandinspektor Lars Henrich über 10.000 Nutzer.

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Unmittelbar nach dem Unfall bei BASF in Ludwigshafen wurden die Katwarn-Nutzer im Umkreis informiert. Im Wetteraukreis nutzen 10000 Menschen die App.  © DPA

Herr Henrich, bei der verheerenden Explosion auf dem BASF-Werksgelände in Ludwigshafen wurden die Bürger laut einem Bericht des Magazins »Focus« unmittelbar nach dem Störfall über die Katwarn-App informiert. Erst eine halbe Stunde später sei der Sirenenalarm ausgelöst worden. Geht digitale Technik vor?

Lars Henrich: Warum in Ludwigshafen die Sirenen später heulten als die App-Warnung herausging, entzieht sich unserer Kenntnis und ist der taktischen Lage vor Ort geschuldet. Die Abstimmung bei der Information der Bevölkerung wird im Einsatzfall zwischen Technischer Einsatzleitung, Führungsstab und dem Betrieb abgesprochen.

Was sind die Vorteile gegenüber herkömmlichen Warnsystemen?

Henrich: Im Wetteraukreis würde der Führungsstab die App-Warnung nach Info oder Alarm durch die Leitstelle veranlassen, das kann sogar »dezentral« geschehen. Das heißt: Katwarn kann von jedem Führungsstabsmitglied per Smartphone oder Tablet ausgelöst werden. Dazu ist nicht erst die Anwesenheit in der Kreisverwaltung erforderlich, was einen Zeitgewinn bedeutet. Allerdings stimmen sich mindestens zwei Mitglieder im Führungsstab ab, um »Schnellschüsse« möglichst zu vermeiden.

Ende Juli waren es im Wetteraukreis 5.000 Nutzer. Wie viele Nutzer sind es jetzt und nach welchen Ereignissen steigt die Zahl der Nutzer an?

Henrich: Wir haben heute 10.294 registrierte Katwarn-Nutzer, davon 99 SMS-Empfänger. Alle anderen nutzen die App per Smartphone. Die Nutzerzahl hatte sich direkt nach den Ereignissen in München verdoppelt und hält bislang die 10.000er-Marke. Um die App im Fokus zu halten, machen wir einmal im Quartal einen Probealarm – das gefällt aber nicht jedem. Eine Reaktion auf Twitter lautete: »Vielen Dank für den kurzzeitigen Herzstillstand.« Die Menschen müssen mehr Verständnis für und Routine mit der App bekommen – daher das »Training«. Die Reaktionen auf Katwarn waren bislang aber durchweg positiv.

In der Wetterau gibt es keine vergleichbaren Industrieanlagen wie das BASF-Werk. Welcher Art sind die Gefahren, vor denen bei uns gewarnt werden könnte?

Henrich: Wir haben im Kreisgebiet drei »besondere« Betriebe, die seitens des Regierungspräsidiums erhöhte Sicherheitspflichten haben: Kraupatz in Gambach (Gaslager), Raiffeisen in Friedberg (Pflanzenschutzmittel) und die Biogasanlage in Altenstadt. Natürlich gibt es weitere größere Industriebetriebe im Kreisgebiet, aber die drei genannten heben sich von der Masse ab.

Löst Katwarn bisherige Alarmsysteme ab?

Henrich: Katwarn ist stets nur als Ergänzung der vorhandenen Sirenenalarmierung zu verstehen. Allerdings richtet sich die Sirenenalarmierung mit dem Signal »Feueralarm« stets nur an die Mitglieder der jeweiligen Feuerwehr-Einsatzabteilungen, nicht an die restliche Bevölkerung. Die alten Sirenensignale »Luftalarm«/»ABC-Alarm« und »Entwarnung« aus den Zeiten des Kalten Krieges sind bundesweit rechtlich außer Kraft gesetzt. Sie können derzeit technisch meist gar nicht mehr angewendet werden, weil die Luftschutz-Sirenen seinerzeit abgebaut wurden. Nur einzelne Bundesländer wie Sachsen haben diese Signale wieder eingeführt. In Hessen ist nur der südliche Landesteil mit den technischen Voraussetzungen für die alten Signale ausgerüstet – Biblis lässt grüßen.

Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, die Bevölkerung auf Gefahren aufmerksam zu machen.

Henrich: Grundsätzlich ist es jetzt Sache der Landkreise und kreisfreien Städte als Untere Katastrophenschutzbehörden, die Alarmierung der Bevölkerung in ihrem Bereich zu organisieren. Generell besteht auch die Möglichkeit, »Amtliche Gefahrendurchsagen« für Rundfunk und Fernsehen über das Lagezentrum der Landesregierung nach festgelegtem Verfahren zu veranlassen.

Quelle: Wetterauer Zeitung online, 20.10.2016