21.10.2016 - Reichelsheim - Feuerwehren und Deutsches Rotes Kreuz üben Gefahrgutunfall


Eine Rauchsäule steigt empor. Es knallt. Hilfeschreie aus einem Auto sind zu hören. Ein Tanklastzug steht vor einer Maschinenhalle am Reichelsheimer Ortsausgang. Eine grünliche Flüssigkeit plätschert aus dem Anschluss des Aufliegers. Qualm dringt aus der Halle. Je dunkler es wird, desto gespenstischer wirkt die Szene. Erste Feuerwehrfahrzeuge parken in sicherem Abstand. Vize-Standbrandinspektor Bernd Philippi betrachtet die Aufgabenstellung, die die vier Wehrführer Nicklas Pipperek (Dorn-Assenheim), Henrik Törmer (Weckesheim), Benjamin Freiter (Reichelsheim) und Oliver Günther (Heuchelheim) ausgetüftelt haben. 'Es ist gut, dass wir bei der Gemeinschaftsübung immer mal etwas Neues ausprobieren', sagt Philippi, der gemeinsam mit Karbens Stadtbrandinspektor Christian Becker und anderen Experten den Ablauf der Übung am Freitagabend beobachtet.

Keine der Einsatzkräfte, die gleich anrücken, kennt die Aufgabe. »Aus dem, was wir heute wahrnehmen, erhalten wir Erkenntnisse für die weitere Ausbildung der Feuerwehrleute«, sagt Philippi. Derweil bezieht Stadtbrandinspektor Michael Paulencu seine Position im Einsatzleitwagen, der mehrere Hundert Meter von der Übungsszenerie aufgebaut ist. 'Abstand zu halten, ist bei einem Gefahrgutunfall wichtig, dabei geht es um Eigenschutz', erklärt Philippi. Von Reichelsheim kommend, rollen die Einsatzfahrzeuge heran. Ein Feuerwehrmann erkundet mit einer Taschenlampe die Lage. Die Eingeschlossenen im Autowrack schreien: 'Holt uns hier raus, Hilfe, Hilfe.' Sie müssen sich gedulden - wie viele der Akteure an dem Abend.

Zwei Feuerwehrmänner steigen in Chemikalien-Schutzanzüge, um herauszufinden, welche Flüssigkeit aus dem Anhänger rinnt. Davon hängt ab, wie die Helfer vorgehen. »Das ist anstrengend. Sie haben die komplette Atemschutzausrüstung an, ihr Sichtfeld ist nochmals eingeschränkt«, weiß Philippi. Die beiden wie 'Mondmänner' wirkenden Helfer tasten sich vor zum Unfallort. Über Funk sind sie nur schwer zu verstehen.

Für mehr Realismus

Derweil warten fast 80 Feuerwehrleute und zwei Dutzend Helfer vom Roten Kreuz auf weitere Informationen. Keiner von ihnen darf vorerst näher als 50 Meter an den Ort des Geschehens heran. Nun funken die beiden Feuerwehrmänner in den Schutzanzügen ihre Erkenntnisse zum Inhalt des Tanks weiter: '90/3082' konnten sie auf dem Schild des Aufliegers erkennen. Kurz darauf informiert Einsatzleiter Paulencu, dass der Stoff, wenn es heiß wird, den Behälter, in dem er gelagert wird, zum Platzen bringen könnte, dass er, gerät er in Brand, reizende Dämpfe entwickeln kann, die schwerer als Luft sind. Vorsicht ist geboten.

Die beiden Helfer in den Schutzanzügen schleppen eine erste 'Verletzte' aus dem Auto. Nun entdecken die Feuerwehrleute weitere Verletzte in der verqualmten Scheune. Neun Verletzte gilt es den Helfern vom Roten Kreuz zu übergeben. Schlauchleitungen werden verlegt, um den Auflieger zu kühlen.

Nun brennt's richtig: Qualm steigt aus dem Unfallwagen, in dem eben noch die Verletzten saßen. Dafür sind drei Feuerwehrleute aus Bad Vilbel zuständig: Mario Migdalski, Andreas Weber und Benedikt Deptha. Mehrmals im Jahr werden sie von anderen Feuerwehren angefordert, um Übungsszenarien so realistisch wie möglich darzustellen. Für den brennenden Reifenstapel, die grüne Farbe des Wassers, das aus dem Auflieger tropft, und die ein oder andere Explosion, während die Kollegen üben, sind sie verantwortlich. 'Eine Alarmübung wird realistischer, sie bekommt eine ganz andere Dynamik, wenn es raucht und brennt', sagt Migdalski.

Fast 90 Minuten wird geübt, ehe Paulencu das Ende verkündet. 'Den angenommenen Brand in der Halle haben wir zu spät erkannt', gibt er sich kritisch. 'Das, was die Reichelsheimer heute abgeliefert haben, kann sich sehen lassen', lobt Beobachter Becker. Er betont: 'Gefahrgutunfälle sind sehr selten, deshalb ist es ist wichtig, das mal zu üben.'

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Pyrotechniker der Bad Vilbeler Feuerwehr sorgten mit Pyrotechnik für lautstarke
Explosionen, Rauch- und Feuereffekten für eine realistische Darstellung, die
auch viele Reichelsheimer zum Ort des Geschehens kommen ließ.

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Für die Übung wurde ein Tankanhänger mit entsprechender Gefahrgutkennzeichnung
versehen. Eine grünliche Flüssigkeit läuft aus. Eine orangene Warntafel gibt an, um
welches Gefahrgut es sich handelt: '90' beschreibt die Gefahr, die von der Ladung
ausgeht, '3082' gibt an, um welche Stoffe es sich handelt. Im Falle dieser Nummer
können das über 100 verschiedene flüssige umweltgefährdende Stoffe mit den gleichen
oder ähnlichen Eigenschaften sein.

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Massenauflauf: Die Einsatzkräfte sammeln sich in sicherem Abstand zum Tank-
anhänger. Bevor sie tätig werden muss zuerst festgestellt werden, welche
Gefahren für die Einsatzkräfte von dem Tankanhänger ausgehen.

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Zwei Feuerwehrmänner erkunden mit Chemikalienschutzanzügen und schwerem
Atemschutz den Tankanhänger und das verunfallte Fahrzeug. Schnell geben sie
Rückmeldung über Funk, so dass eine Identifizierung des Gefahrgutes im
Einsatzleitwagen möglich ist.

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Auf dem Rückweg bringen sie bereits ein schwer verletztes Unfallopfer mit -
Schwerstarbeit in den Gummianzügen.

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Nachdem klar ist, dass bei diesem Einsatz 'normaler' Atemschutz ausreichend
ist, werden zügig die weiteren verletzten Personen aus Unfallfahrzeug und
der angrenzenden Maschinenhalle gerettet.


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Das Rote Kreuz hatte an der im Bereich der Florstädter Strasse eingerichteten 
Sammelstelle neun verletzte Personen zu versorgen.

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Als das verunfallte Fahrzeug auch noch Feuer fängt, löschen Atemschutz-
geräteträger mit Schaum den Brand. Währendessen wird der Tankanhänger
mit Wasser gekühlt.

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So engagiert sind Feuerwehrmänner: Alex Lenz und Jakob Hennigs von der
Reichelsheimer Wehr waren unter Atemschutz im Einsatz. In ihren Atemluft-
flaschen ist noch Luft übrig, also machen die beiden spontan Liegestütze,
bis die Luft aufgebraucht ist.

 

Text: Ines Dauernheim, freie Journalistin
Bilder: Elli Philipp, DRK Reichelsheim, Nils Kopmann