02.11.2016 - Bad Vilbel/Reichelsheim - Sie sind Experten für knallige Szenen. Je näher Feuerwehrübungen an der Realität sind, desto besser der Lerneffekt. Deshalb sind fünf Bad Vilbeler Feuerwehrleute ausgebildet, um mit Sprengstoff umgehen zu dürfen. Die Journalistin Ines Dauernheim hat sie bei einer Übung in Reichelsheim begleitet.

Schwarze Rauchsäulen steigen auf. Aus einem Siloanhänger plätschert grüne Flüssigkeit in den Kies. Rot-weißes Absperrband verwehrt den Durchgang auf einem Feldweg. Wer genau schaut, entdeckt Kabel auf dem Grasweg, die zu einem Aufbau auf einer Palette führen. Am Rand dieser Szene hockt Andreas Weber: Feuerwehrkluft, roter Helm und Ohrenschützer. Er bedient die Fernsteuerung. Wenige Augenblicke später ertönen zwei Laute Böllerschläge. Kurz nach dem Knall heulen die Sirenen. Rund 80 Reichelsheimer Feuerwehrleute eilen zum Üben an den Ortsrand. „Wir statten die Übungen realistisch aus“, erklärt der Bad Vilbeler Wehrführer Mario Migdalski. Den Kollegen zu sagen: Stell dir vor, dort brennt es jetzt, sei schwierig. „Je realistischer eine Übung ist, desto besser ist der Lerneffekt“, sagt Benjamin Freiter. Der Reichelsheimer Wehrführer hat mit drei weiteren Wehrführern die diesjährige Gemeinschaftsübung ausgetüftelt. Schnell sei klar gewesen, die Kollegen aus Bad Vilbel zu integrieren, sich von ihnen Effekte in den Ablauf einbauen zu lassen. „Ziel des Übens ist es Schwachstellen zu identifizieren, damit wir darauf gezielter eingehen können und im Einsatz besser arbeiten“, sagt Freiter.

Also schickten die Reichelsheimer einige Wochen vor der jährlichen Großübung ihr Konzept in die Quellenstadt. Migdalski und Weber entschieden Reifen mitzubringen, die sie vorm Übungsstart entzünden, damit Rauch aufsteigt. Im Gepäck haben sie außerdem: Sprengstoff, Seifenpulver, Sprit, genug grünes Färbemittel, das das Wasser im Siloanhänger gefährlich aussehen lässt, dazu Nebelmaschine, Fernsteuerungen, Zündkabel, Werkzeug und Zeit für den Aufbau. Zwei Stunden ehe die Kameraden alarmiert werden, beginnen die beiden Feuerwehr-Pyrotechniker mit ihrer Arbeit, dabei hilft ihnen ihr junger Kollege Benedikt Deptha (20).  Er mischt Brennpaste: Seifenpulver und Sprit. Das wird später unter dem Unfallwagen deponiert, wo außerdem ein Päckchen Sprengstoff installiert wird. Routiniert schneidet Weber Kabel zurecht, verbindet sie mit der Fernsteuerung, verklebt alles exakt. „Etwa zehn Minuten vorm Übungsstart wird es für uns stressig, dann steht alles auf scharf“, sagt Migdalski.

Seit 15 Jahren dürfen er, Weber und drei weitere Feuerwehrmänner als einzige im Wetteraukreis mit Sprengstoff umgehen. Sie absolvierten im Main-Taunus-Kreis eine spezielle Ausbildung, die alle fünf Jahre aufgefrischt werden muss. Vom damaligen Kreisbrandinspektor seien sie auf das Angebot aufmerksam gemacht worden, als Teil der Katastrophenschutz-Ausbildung sei es von Vorteil, Übungen so nah an realen Fällen wie möglich zu gestalten. Seither sind die Vilbeler-Pyrotechniker mehrmals im Jahr unterwegs, um besondere Effekte aufzubauen. „Diejenigen, die Alarmübungen mit  realistischer Darstellung erlebt haben, wollen es öfters“, sagt Migdalski. In Reichelsheim baut er schon zum zweiten Mal Sprengstoff und brennbare Paste auf. „Man kann mit einem Lagebild arbeiten, das Geschehen bekommt eine ganz andere Dynamik.“ Wie an diesem Abend als die Verletzten aus dem Unfallwagen gerettet sind. Weber zündet den vorbereiteten Aufbau. Das Auto brennt. Eine für die Übenden überraschende Entwicklung. „Auf diese Weise kommt man auch ohne Einsatz an Grenzen, mit Effekten fühlt es sich anders an“, sagen Migdalski und Weber.

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Bereit für die 'Effekte': Andreas Weber in Feuerwehrkluft, mit rotem Helm und Ohrenschützer an der Fernsteuerung.

 

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Sprengsätze und Autoreifen erzeugen realistische Knalleffekte für die Übungen

 

Pyrotechniker bei der Feuerwehr

Die Vilbeler Feuerwehr-Pyrotechniker wurden bei den Feuerwehr-Kollegen des Main-Taunuskreises ausgebildet, dort werden regelmäßig Lehrgänge für Helfer im Katastrophenschutz angeboten. Wer dort mitmacht, muss ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, von Feuerwehr oder anderen Rettungsdiensten entsandt werden. Mit dem absolviertem Lehrgang bekommen die Teilnehmer den behördlichen Befähigungsschein mit Pyrotechnik umgehen zu dürfen. Alle fünf Jahre gilt es diesen Lehrgang aufs Neue zu belegen. Feuerwehren, die die Dienste der Bad Vilbeler Pyrotechniker in Anspruch nehmen, müssen dafür zahlen. Zwischen 200 und 300 Euro kostet der Aufbau, den Migdalski und Weber in Reichelsheim installiert haben.

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V.l.: Benedikt Deptha, Andreas Weber und Mario Migdalski sorgten bei einer Gefahrgutübung
in Reichelsheim mit Pyrotechnik für realistische optische und akustische Effekte.


Text und Bilder: Ines Dauernheim, Wetterauer Zeitung