21.09.2010 - Reichelsheim/Heuchelheim - Süßlich duftender Qualm wabert aus einer Feldscheune. "Das riecht ja richtig gut", urteilen die Statisten. In zerrissenen Hosen, mit geschminkten Verletzungen irren sie in der Scheune herum als gegen 19.40 Uhr am Freitagabend die Sirenen zur gemeinsamen Jahresübung aller sechs Reichelsheimer Stadtteilwehren nach Heuchelheim riefen. Die acht Jugendlichen liegen als die Heuchelheimer Wehr ankommt hinter Traktoren, unter Wagen, an der Werkbank, sie schreien und jammern.

Ehe die Feuerwehrleute ihre Rettung angehen, gilt es die Einsatzstelle aufzubauen: Schläuche rollen, Atemschutzgeräte anlegen, die Sicherung des Atemschutztrupps organisieren. Minuten vergehen bis die ersten Feuerwehrleute das schwere Tor zur Halle aufschieben, den Raum ausleuchten, nach Verletzten suchen. Immer mehr Helfer eilen herbei, nur wenige Zuschauer unter ihnen Bürgermeister Bertin Bischofsberger, Ordnungsamtsleiterin Corina Karl sowie ihr Vorgänger Alfred Schiel beobachten die Szenen.

Inzwischen hat sich an der Zufahrt zur Feldscheune ein Unfall ereignet: Ein Auto ist auf einen mit Ethanol beladenen Hänger gefahren. Auch hier greifen die Feuerwehrleute schnell ein: Wasser wird in Richtung der Unfallstelle gesprüht, damit sich das Ethanol verdünnt und nicht brennt. Mit der Kombi-Rettungsschere-Spreitzer versuchen die Feuerwehrleute den eingeklemmten Autofahrer zu befreien. Plötzlich passiert das Unvorhersehbare, mit dem die Feuerwehrleute immer wieder rechnen müssen: Das Rettungsgerät zerplatzt während der Arbeit. Die beiden Feuerwehrleute reißt die Wucht zu Boden. Schnell kümmern sich die Kameraden, um die beiden Einsatzkräfte, außer einem gehörigen Schreck für alle Beteiligten und dem kaputten Gerät ist nichts passiert. "Wären wir an einer realen Einsatzstelle, wäre das unangenehmer", urteilen die Feuerwehrleute. "Das ist der Grund, warum wir zu Verkehrsunfällen immer mit beiden Fahrzeugen, die für Unfälle ausgerüstet sind, ausrücken", erklärt Vize-Stadtbrandinspektor Bernd Phillippi. Binnen weniger Minuten ist das zweite Gerät im Einsatz.

Während die Feuerwehrleute den angenommenen Scheunenbrand, der durch Schweißarbeiten entstand, löschen, beim Unfall in der Zufahrtsstraße agieren und mit dem Regeln des Verkehrs rund um Heuchelheim beschäftigt sind, kommt via Funk eine weitere Hiobsbotschaft: Eine dritte Einsatzstelle - auf dem Gelände der Zuckerrübenauflade- und Abfuhrgemeinschaft ist in der Halle ein weiterer Unfall passiert. Ein Arbeiter ist mit einem Gabelstapler umgekippt, bei dem Malheur rauchte er, so dass ein Feuer entfachte. Schnell organisierte die Einsatzleitung um, schickte Atemschutzgeräteträger und Löschtrupps dorthin. "In der Realität würde bei einem dritten Einsatz in einem Ort die Nachbarwehr alarmiert", sagt Phillippi.

Bei einer Übung sei das anders, denn immerhin müssten mehr als 60 Feuerwehrleute und mehr als ein Dutzend Helfer vom Roten Kreuz aus Reichelsheim, Florstadt und Bad Nauheim beschäftigt werden. Neun Verletzte gilt es zu versorgen, dazu wurde die Fahrzeughalle des Feuerwehrhauses in ein Lazarett umgewandelt. "Kopfverletzungen, Rauchvergiftungen, Verbrennungen, Rückenverletzungen, Beinbrüche das ganze Programm, was möglich ist, behandeln wir hier", sagt Harald Brendel von der DRK-Ortsgruppe Reichelsheim-Weckesheim. Gemeinsam mit dem Nachwuchs vom Jugendrotkreuz kümmert sich das erfahrene Rot-Kreuz-Team um die Verletzten, die ihre Kollegin Betina Krückl erst vor Stunden mit Schminke, Knete und Schmutz geschminkt hat - selbstverständlich, dass sie nun als Helferin dabei ist Verbände zu legen, Infusionen zu reichen und beruhigend auf die Statisten einzureden, denn die haben den Auftrag ihre Rolle möglichst lange und gut zu spielen.

Fast eineinhalb Stunden üben die Feuerwehren und das Rote Kreuz zusammen. "Das Funken hätte besser klappen können", bilanziert Brendel. "Leider ging alles nur über eine Funkkanal, im Ernstfall gibt es mehr Kanäle", sagt er. "Wir üben ja dafür, etwas besser zu machen." Lob für die ehrenamtlichen Helfer gab es von Bürgermeister Bischofsberger. "Die Feuerwehrleute sind sehr gut ausgebildet, die Meldekette hat funktioniert, die Zusammenarbeit mit dem DRK lief erst schleppend an, wurde dann besser", fasst er seine Beobachtungen zusammen. Froh ist er darüber, dass keiner der Helfer bei der Großübung verletzt wurde. "Die Übung war Okay, die Einsatzstellen lagen kompakt zusammen, vorher ist viel Logistik nötig, das alles zu organisieren", lobt Stadtverordnetenvorsteher Holger Strebert, der diesmal in Einsatzkleidung kam und als Feuerwehrmann mitwirkte. "Immerhin ist die Heuchelheimer Wehr die kleinste im Stadtgebiet." Zufrieden mit seinen Feuerwehrleuten zeigte sich Stadtbrandinspektor Michael Paulencu. "Ich hoffe, dass wir in Reichelsheim eine solche Vielzahl von Einsatzstellen binnen kürzester Zeit nicht erleben müssen."

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Großübung der Reichelsheimer Feuerwehren in Heuchelheim: An drei Stellen gleichzeitig
wurden die Helfer benötigt, acht junge Leute galt es aus einer verqualmten und brennenden
Scheune zu retten und sie an die Helfer vom Roten Kreuz zu übergeben.

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Ruhe bewahren, auch wenn nun noch eine dritte Einsatzstelle hinzu kam: Die Feuerwehrleute
besprechen ihr Vorgehen vor der verqualmten Halle, in der ein Gabelstaplerfahrer verunglückt
ist, immer dabei: Funkgeräte, um in Kontakt mit der Einsatzleitung zu bleiben.

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Neun "Verletzte" mit ganz unterschiedlichen Blessuren galt es für die Helfer vom Roten Kreuz
in ihrem Lazarett im Feuerwehrhaus zu behandeln.

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Das hydraulische Rettungsgerät der Blofelder Wehr brach beim Einsatz an einem verunfallten
Fahrzeug auseinander. Die Einsatzkräfte kamen mit dem Schrecken davon.

Text und Bilder: Ines Dauernheim (freie Journalistin)