16.01.2013 – Massenaustritt im Landkreis Kassel – Jung gegen Alt
Niestetal – Löschen, retten, bergen? Die Freiwillige Feuerwehr Niestetal hat alle Hände voll mit ihrer Selbstzerstörung zu tun. 30 Einsatzkräfte werfen die Schläuche hin. Es geht um Jung gegen Alt – und ums Biertrinken.
Der Konflikt ist zwischen Modernisierern und Traditionalisten entbrannt. Nach der Meinung der einen über die jeweils anderen könnte man die Lager auch weniger freundlich beschreiben: Hier die pflichtvergessenen Alten, die am liebsten ein paar Bierchen heben und da die übereifrigen Jungen, die keinen Sinn mehr für Kameradschaftpflege haben. Wegen des bösen Generationenkonflikts quittieren am Freitag 30 von insgesamt 70 aktiven Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr Niestetal im Landkreis Kassel ihren ehrenamtlichen Dienst, darunter die gesamte Führungsriege.
"Wir haben damit abgeschlossen. Für uns ist das zu Ende", sagte der noch amtierende Vize-Brandinspektor Gerd Ullrich dem hr am Mittwoch und bestätigte einen Bericht der Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA). Ullrich und der Brandinspektor, Zug- und Gruppenführer bis zur Leitung der Kinderfeuerwehr – alle hören sie auf. Und alle sind Anhänger der Philosophie einer überwiegend jüngeren U-40-Feuerwehr-Generation, die vor einigen Jahren in der 10.500-Einwohner-Gemeinde das Heft in die Hand nahm. Sie wollte den Auftrag "Löschen - Retten - Bergen - Schützen" mit neuem Ernst angehen.
Schulungen statt Hoch-die-Tassen
Die Parole hieß: Qualifizierungsoffensive statt "Hoch-die-Tassen". Also wurden vierzehntägliche Übungen anberaumt und immer wieder Extra-Schulungen an neuem Gerät. Das gefiel längst nicht allen, obwohl es doch nach Meinung Ullrichs ganz selbstverständlich zur zeitgemäßen Feuerwehrarbeit gehört. "Wir haben am Wochenende auch Sonderausbildungen auf dem Schrottplatz gemacht, um dort die neusten Techniken ausprobieren zu können", sagte er dem hr.
Ullrich und die anderen wollen am Freitag ihre Mitgliedsausweise und Ämter abgeben. Ihr Schritt richtet sich vor allem gegen die Gemeinde. Deren Bürgermeister Andreas Siebert (SPD) war zwar dem Hilferuf der Wehr im vergangenen Jahr gefolgt und als Vermittler eingesprungen. Aber ohne Erfolg.
"Wir sind doch ehrenamtlich tätig"
Dann kam die Aufforderung der Wehrführung, einen widerspenstigen Feuerwehrmann der älteren Generation auszuschließen. Der habe immer wieder gegen sie gehetzt. Dem wollten aber weder der Bürgermeister noch der restliche Gemeindevorstand folgen. "Was an Vorwürfen vorliegt, reicht rechtlich nicht für einen Ausschluss", sagte Siebert.
Die so heftig kritisierte Fraktion der älteren Feuerwehrleute ist sich keiner Schuld bewusst. Das junge Führungspersonal hätte nicht vergessen dürfen, dass alle immer noch ehrenamtlich tätig seien, meint zum Beispiel Walter Becker, der seit 43 Jahren Feuerwehrmann ist. Und hinter der Kameradschaftspflege, auf die er pocht, stecke eben mehr als regelmäßiges gemeinsames Zu-Prosten. "Ich muss im Ernstfall mit jemandem ins Feuer gehen können und wissen: Der steht hinter mir."
Nachbar-Feuerwehren als Lösch-Alternativen
Wenn von Freitag an die 30 Ex-Feuerwehrleute nicht mehr hinter Becker und den anderen übriggebliebenen Mitgliedern der Wehr in Niestetal stehen, wird das nach Angabe der Gemeinde keine Katastrophe für den Brandschutz bedeuten. Zur Not sollen Feuerwehren ohne zerstörerischen Generationenkonflikt aus den Nachbarorten einspringen.
Aber vielleicht gibt es ja auch bald Ersatz-Personal. Auf der Internetseite der Niestetaler Feuerwehr wird bereits geworben: "Wir suchen motivierte und freiwillige Einsätzkräfte für die Sicherheit unserer Mitbürger." Eines sollten Interessierte laut dem Aufruf auf jeden Fall mitbringen: "Teamfähigkeit".
Quelle: hr-online vom 16.01.2013