30.05.2008 - Nach dem schweren Unfall bei Ulfa: Auch Einsatzkräfte werden seelsorgerisch betreut

WETTERAUKREIS (pd). Vor drei Wochen sind zwei Feuerwehrleute in einem Brunnen erstickt. Am Dienstag kamen vier junge Leute bei einem Unfall ums Leben. Bei beiden Unglücken waren Feuerwehrleute im Einsatz. Sie haben die Toten geborgen, die Verletzten gerettet, die Trümmer beseitigt. Was aber geht in der Seele eines Feuerwehrmannes vor, der mit solch schrecklichen Verletzungen und Todesfällen konfrontiert wird? Wie die Einsatzkräfte mit der Belastung umgehen, darüber sprachen Kreisbrandinspektor Otfried Hartmann und Notfallseelsorger Joachim Michalik.

Herr Hartmann, was geht in einem Feuerwehrmann vor, der zu einem solchen Unglücksfall gerufen wird?
Hartmann: Zunächst funktioniert der Mensch als Feuerwehrmann. Er ist darauf trainiert, ja konditioniert, bestimmte Handgriffe zu tun. Das wird in vielen Lehrgängen geradezu gedrillt. Diese Mechanismen laufen dann ab. Er überprüft die Vitalfunktionen der Betroffenen, betrachtet sich den Zustand des Menschen und der Technik, um dann zu entscheiden, wie er helfen kann.

Die seelische Belastung kommt erst später?
Hartmann: Die seelische Belastung kommt dann, wenn der Einsatz abgearbeitet ist. Wenn man Zeit hat zum Nachdenken, wenn diese Bilder wieder im Kopf erscheinen, wenn die Gerüche und Geräusche wieder hochkommen - dann fangen Feuerwehrleute an, über das Gesehene und Gehörte nachzudenken.

Was passiert dann?
Hartmann: Wir haben eine sehr qualifizierte Notfallseelsorge, die ausschließlich aus Theologen besteht. Sie können im Wetteraukreis genauso alarmiert werden wie die Feuerwehrleute. Das heißt, sie haben einen Funkmeldeempfänger. Es gibt sehr kurze Wege, und sie werden über unsere Leitstelle alarmiert.

Welche Aufgaben haben die Notfallseelsorger?
Hartmann: Sie überbringen den Angehörigen die Todesnachrichten beziehungsweise die Informationen über die Verletzungen der Unfallopfer. Sie kümmern sich aber auch um die Einsatzkräfte.

Nach dem Einsatz gibt es Besprechungen mit einem Notfallseelsorger. Wie laufen die ab?
Hartmann: Die Notfallseelsorger laden alle Einsatzkräfte, natürlich auch Rettungsdienst und Polizei, zu einem freiwilligen Gespräch ein. Die Einsatzkräfte erzählen, was sie erlebt haben und was sie besonders beschäftigt. Sie sollen sich das Erlebte von der Seele reden. Das Reden ist die erste Heilungschance.

Inwieweit werden solche Angebote der Notfallseelsorge von den Feuerwehrleuten in Anspruch genommen?
Hartmann: Die Anzahl der Gesprächsbereiten ist sehr hoch. Zu Beginn gab es viele Vorbehalte. Es gab das Image: Helfer brauchen so etwas nicht, die sind so hart, die streifen das einfach ab. Aber Feuerwehrleute sind genauso Menschen wie jeder andere auch. Inzwischen wird dieses Angebot fast vollständig von den Einsatzkräften angenommen.

Aus den Gesprächen geht man zumindest so gestärkt heraus, dass man wieder sein normales Leben führen kann?
Hartmann: Das Feedback der Einsatzkräfte ist erstaunlich. Ging es den Einsatzkräften vorher noch richtig schlecht, berichten mir sehr viele hinterher, dass ein Stein von ihrem Herzen gefallen sei und sie sich wesentlich besser fühlten.

Herr Michalik, wie verhindern Sie, dass die Unfallbilder verinnerlicht werden, dass sie immer wieder kommen?
Michalik: Wir stellen eine Schicksalsgemeinschaft her mit allen, die im Einsatz eine Rolle gespielt haben. Feuerwehrleute, Rettungsdienstkollegen, Polizisten und Mitarbeiter der Leitstelle führen wir in eine Runde und jeder erzählt, was sein Job war bei der Rettungsaktion. Wer vorne die Straße gesperrt hat, der weiß nicht, welche Probleme an der Einsatzstelle entstanden, sind und umgekehrt. Wir tragen erst mal ganz nüchtern zusammen: Wer hat was gesehen oder erlebt? Wie ist der Einsatz abgelaufen? Was war mein Auftrag? Dann schauen wir, an welcher Stelle der Einsatz zu einem besonderen Einsatz wurde. Und da gucken wir uns sehr bewusst die Bilder an. Das Anschauen der Bilder führt dann schon dazu, dass diese Bilder ihre Bedrohlichkeit verlieren.

Das ist nachvollziehbar.
Michalik: Im dritten Schritt fragen wir, welche Reaktionen das bei den Einsatzkräften ausgelöst hat. Im letzten Schritt informieren wir schließlich, worauf anschließend zu achten ist. In den ersten fünf bis sieben Tagen drängen sich diese Bilder immer wieder auf. Im Laufe von sechs bis acht Wochen lässt das nach. Dann kommen wir noch einmal zur Feuerwehr, um über diese Bilder zu sprechen. Eine Einsatznachbesprechung ist aber kein singuläres Ereignis, sondern eingebettet in die Tätigkeit der Notfallseelsorge für die Feuerwehr.

Quelle: Kreis-Anzeiger online vom 30.05.08