09.11.2014 – Interview des Kreis-Anzeigers mit Notfallseelsorger Gregor Rettinghaus

WETTERAUKREIS – (asl). Rettungskräfte werden häufig zu schweren Einsätzen gerufen, die nicht spurlos an ihnen vorübergehen und die sie nicht einfach wie die Einsatzkleidung ablegen können. Daher kann es ihnen helfen, darüber zu sprechen, sich auszutauschen, um Rat zu fragen. Notfallseelsorger stehen als Ansprechpartner bereit. Gregor Rettinghaus ist einer von ihnen. Der Gemeindereferent für Klinik- und Altersseelsorge ist seit 16 Jahren bei der Notfallseelsorge Wetterau tätig, einer Einrichtung der katholischen und evangelischen Kirche. Der Kreis-Anzeiger sprach mit ihm über die Aufgaben der Notfallseelsorger.

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Gregor Rettinghaus, Gemeindereferent für Klinik- und Altersseelsorge ist seit 16 Jahren bei der Notfallseelsorge Wetterau. Foto: Schinzel

Seit wann gibt es die Notfallseelsorge Wetterau?

Rettinghaus: Sie wurde am 9. Mai 1998 gegründet. Ich war als Gründungsmitglied dabei. Die damals 20 Notfallseelsorger wurden gleich in eine Großübung der Rettungskräfte und Hilfsorganisationen des Wetteraukreises eingebunden. Zwischen 1995 und 1998 wurde die bereits von der Kirche angebotene Notfallseelsorge in vielen Gebieten neu strukturiert, um effektiver arbeiten zu können und die Erreichbarkeit zu garantieren. Mittlerweile wird die Notfallseelsorge nahezu flächendeckend von den Kirchen angeboten. Wir arbeiten eng ökumenisch vor Ort. Wie notwendig Notfallseelsorge bei großen Unglücken ist, hat das Unglück bei der Flugzeugschau in Ramstein 1988 gezeigt. Das Zugunglück bei Eschede Anfang Juni 1998 war dann die Initialzündung für weitere Gründungen von Notfallseelsorgeeinrichtungen. Da gab es uns bereits einen Monat.

Wie finanziert sich die Notfallseelsorge?

Rettinghaus: Die Personalkosten tragen das Bistum Mainz und das evangelische Dekanat. Funkmelder, Einsatzkleidung oder Mobilfunk werden durch Spenden oder Zuschüsse finanziert, welche die Kirchen beantragt. Der alljährlich von uns ausgerichtete Blaulichtgottesdienst wird ebenfalls durch Spenden finanziert.

HINTERGRUND
Einmal im Jahr lädt die Notfallseelsorge Wetterau die Mitglieder von Rettungs- und Hilfsorganisationen zum Blaulichtgottesdienst ein. Er findet am Freitag, 14. November, ab 19 Uhr in der evangelischen Kirche in Glauberg statt. Der Gottesdienst soll den Teilnehmern die Möglichkeit bieten, Kraft zu tanken für neue Einsätze. Die Begegnung im Anschluss an den Gottesdienst in der Glauberger Turnhalle wird von der Freiwilligen Feuerwehr Glauberg ausgerichtet. „Als Ausrichter suchen wir meistens Feuerwehren aus, die in dem Jahr ein Jubiläum gefeiert haben“, sagt Gregor Rettinghaus, Sprecher der Notfallseelsorge Wetterau. „Die Glauberger Feuerwehr feierte in diesem Jahr ihr 80-jähriges Bestehen und der Blaulichtgottesdienst ist ein gebührender Jahresabschluss.“ (asl)

 

Wie viele Notfallseelsorger arbeiten in der Wetterau?

Rettinghaus: Im Wetteraukreis gibt es derzeit 22 hauptamtliche Notfallseelsorger. Die meisten sind Pfarrer, arbeiten in der Klinik- und Schulseelsorge oder sind anderweitig haupt- oder nebenamtlich im kirchlichen Dienst beschäftigt. Wir haben durchschnittlich 120 Einsätze im Jahr. Ein Dienstplan regelt, wer wann Bereitschaft hat. Täglich stehen zwei Notfallseelsorger auf Abruf bereit.

Ist für die Notfallseelsorge eine Ausbildung notwendig?

Rettinghaus: Ein Theologiegrundstudium ist die Voraussetzung, außerdem gibt es eine spezielle Ausbildung. Die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau und das Bistum Mainz haben sich 2002 auf gemeinsame Richtlinien zur Ausbildung von Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern verständigt. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen einem Ausbildungsteil und einem Praktikumsteil.

Wann kommt ein Notfallseelsorger zum Einsatz?

Rettinghaus: Wir sind ein Teil der Rettungskette. Die Einsatzleitstelle alarmiert uns beispielsweise nach einer erfolglosen Reanimation, vor oder nach einem Suizid oder bei plötzlichem Kindstod. Wir begleiten die Polizei bei der Überbringung einer Todesnachricht. Wir kommen aber nur zum Einsatz, wenn der Angehörige das will. Außerdem betreuen wir die Rettungskräfte nach Unglücken. In der Hinsicht hat es in der Vergangenheit einen Wechsel in der Denkweise gegeben. Längst wird unsere Nachsorge für die an den Einsätzen Beteiligten von der Führungsspitze der Rettungskräfte und Hilfsorganisationen auf Kreisebene ausdrücklich gewünscht. Da haben wir die volle Rückendeckung.

Wer hilft Ihnen bei der Verarbeitung des Erlebten?

Rettinghaus: Wir reden untereinander und vier Mal im Jahr nehmen wir an einer Supervision teil, in der Einsätze und Organisatorisches besprochen werden. Jeder muss sehen, dass er gesund aus einem Einsatz rauskommt, und hat seine Form der persönlichen Psychohygiene. So wie man sich die Hände wäscht, muss man auch die Seele waschen.

Ihr schlimmster Einsatz?

Rettinghaus: Der Flugzeugabsturz in der Nähe von Wölfersheim mit acht Toten, darunter vier Kinder, im Dezember 2012. Es war nicht unbedingt das Ereignis an sich, sondern das, was anschließend kam: die Begegnung mit den Familien und die Einsatznachsorge.

Quelle: Kreis-Anzeiger online vom 06.11.2014