28.08.2015 – Als erstes Bundesland führt Nordrhein-Westfalen mobile Sichtschutzwände gegen Gaffer an Unfallstellen ein. Doch es sind nicht nur Gaffer, die Unfallopfer mit Handykameras filmen. In Zeiten von Facebook, Twitter und WhatsApp betreibt auch mancher Retter eine sehr fragwürdige Form der Öffentlichkeitsarbeit.

Für nahezu alle Einheiten der Hilfsorganisationen gilt: Eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig. Lassen sich doch durch interessante Berichte in den Medien nicht nur Spendengelder, sondern auch Nachwuchskräfte gewinnen. Wer einen Pressemitarbeiter zu seinen Freunden zählt, erhofft sich eine positive Berichterstattung. Kein Wunder also, wenn das eine oder andere Einsatzbild mit der Handykamera festgehalten und "exklusiv" an einen Reporter weitergegeben wird.
Außerdem gibt es einen neuen Trend in sozialen Netzwerken: Rettungsdienst-Mitarbeiter, die beispielsweise zu Dienstbeginn posten, auf welchem Fahrzeug sie diesmal ihre Schicht verbringen. Halb so wild, wenn es dabei bliebe. Doch es wird auch gepostet, wie der Dienst so verläuft und in welchen Kliniken man so im Laufe des Tages war - oftmals mit Fotobeweis.
Ebenfalls zu beobachten ist, dass mehr und mehr Einsatzbilder von Verkehrsunfällen und Einsätzen schon gepostet werden, während der Einsatz noch läuft. Das lockt dann zusätzlich Schaulustige an.

 

Rechtlich auf dünnem Eis

Dabei dürften sich die meisten Aktiven im Rettungsdienst und bei Feuerwehren bewusst sein, dass sie sich damit rechtlich auf dünnem Eis bewegen. Aufgrund der Rechtslage haben mittlerweile viele Organisationen ihren haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern zu deren eigenem Schutz Foto- und Videoaufzeichnungen von Einsätzen untersagt. Hinter dem Verbot stehen mehrere rechtliche Gründe.

Schutz des perönlichen Lebensbereichs: Das wichtigste Argument findet sich in Paragraph 201a Strafgesetzbuch, der den persönlichen Lebensbereich schützt. Danach kann demjenigen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren drohen, der ...
... von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
... eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.
... Bilder aus Wohnungen oder Häusern sind daher ebenso tabu wie Bilder, auf denen betroffene Menschen zu erkennen sind.

Informationelles Selbstbestimmungsrecht: Aber auch das Grundgesetz schützt betroffene Menschen vor einer ungewollten Bildberichterstattung. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und des Gewerbebetriebs sowie der Schutz der Privatsphäre verbieten nicht nur das Fotografieren und Filmen in Wohnungen. Auch in Autos, Wohnwagen, Büroetagen oder Kliniken ist es untersagt.
Wer diese Rechte verletzt, muss mit Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen rechnen. Das gilt auch für die durch Anfertigen von Bildern einhergehenden Verstöße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Beispielsweise, wenn Kennzeichen erkennbar sind oder Fahrzeuge aufgrund ihrer besonderen Lackierung oder Beklebung eindeutig zu identifizieren sind.
Selbst dem Laien harmlos erscheinende Details - beispielsweise eine Damenhandtasche auf dem Beifahrersitz eines Unfallfahrzeugs - können einen Ehemann in erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn es nicht die der eigenen Ehefrau war. Das gilt erst Recht für den Hinweis auf die "unverletzte Begleiterin", wenn die Ehefrau in sozialen Medien das Fahrzeug eindeutig identifizieren kann.

Kunsturhebergesetz: Nicht ganz so bekannt, aber dennoch wichtig: Paragraph 22 Kunsturhebergesetz. Es sieht vor, dass jeder Mensch das Recht am eigenen Bild besitzt. Das heißt, er allein entscheidet, wer ein von ihm gefertigtes Bild zu sehen bekommen soll. Auch das Schwärzen der Augen und Verpixeln reicht dabei oftmals nicht aus.

 

Konkurrenz für Reporter

Nicht zu vernachlässigen ist auch ein ganz anderes juristisches Problem. Bildberichterstatter leben davon, Pressefotos anzufertigen. Die kostenlose Weitergabe von Einsatzfotos an Medien zum Beispiel durch Feuerwehren kann wettbewerbsrechtlich problematisch sein. Darauf weist beispielsweise das Bayerische Staatsministerium des Innern hin (Link). Die kommunalen Einrichtungen treten damit in Konkurrenz zu freien Fotojournalisten. Dadurch droht der Organisation oder dem Arbeitgeber die Gefahr einer Schadenersatzklage.
Etwas anders sieht es aus, wenn Bilder und Videos zum Zwecke der Qualitätssicherung für Schulungszwecke oder für die Veröffentlichung in Presseberichten vorgesehen sind. Dies ist unter strengen Auflagen zulässig. Die Organisationen haben dafür aber Funktionsträger zu bestimmen. Sie müssen nach eventuell rechtlicher Beratung durch einen Justitiar entscheiden, welche Bilder sie mit Einverständnis der Betroffenen für solche Zwecke fertigen. Eine Aufgabe für die Rettungskräfte vor Ort ist dies eindeutig nicht.
Sollte eine Organisation zum Thema "Fotografieren/Filmen an Einsatzstellen" bisher noch keine eindeutigen Regelungen erlassen haben, sollte sie dies umgehend nachholen. Dabei kann sich die Organisation am Vorbild vieler Feuerwehren orientieren, die jegliche Dokumentation eines Einsatzes mit einer Kamera durch Mitarbeiter ohne speziellen Auftrag untersagen. Auch die Weitergabe solcher Aufzeichnungen ohne Auftrag an Dritte oder das Veröffentlichen in sozialen Netzwerken ist unter Androhung von Sanktionen verboten.

 

Autor: Bernd Spengler, Rettungssanitäter, Rechtsanwalt u.a. mit Schwerpunkt Rettungsdienst, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Erschienen im Rettungs-Magazin Juli/August 2015
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion, www.rettungsdienst.de