24.03.2015 – 45 Jahre ist Carl Cellarius im Rettungsdienst tätigSeine Führungen sind etwas Besonderes

Friedberg (jw)Eine Führung durch die Leitstelle des Wetteraukreises kann eine trockene Angelegenheit sein: Viel Technik und viel Statistik, die einen fast erschlägt. Führt Carl Cellarius Besucher durch den »Hochsicherheitstrakt« im obersten Geschoss des Kreishauses, ist das anders.

Der Senior der Friedberger Grünen begrüßte am Sonntag ein Dutzend Parteifreunde zum »Grünen-Frühstück« in sein »zweites Wohnzimmer«. Frühstück gab es keines, dafür aber jede Menge Geschichten über schwere Unglücke, Notruf-Missbrauch, den Einsatz des Speck-RTW und die Frage, ob der berühmte Ausspruch »Wo ist Behle?« wirklich erst 1980 beim olympischen Skilanglauf von Lake Placid geprägt wurde – oder doch nicht schon viel früher auf dem Hoherodskopf und Carl Cellarius auch hier seine Finger (oder besser gesagt: seine Langlaufski) im Spiel hatte.

Um die Sache mit Jochen Behle aufzuklären: Cellarius war in seiner Jugend mehrfacher hessischer Skilanglaufmeister und Biathlet. Als Behle bei einem Wettkampf die Luftballons nicht traf, zog Cellarius an ihm vorbei und war fünf Minuten eher im Ziel. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Der eine wurde weltberühmt, der andere Rettungsassistent, und das ist ja keine schlechte Wahl. Auch wenn es in diesem Job Momente gibt, die man nicht vergisst, weil sie auf einem lasten wie tonnenschwere Brocken. Das Hochwasser in Bruchenbrücken 1981 etwa, als Cellarius einen Feuerwehrmann reanimieren wollte. Der Mann hatte in einem vollgelaufenen Keller einen Stromschlag erlitten. »Da war einfach nichts mehr zu machen«, sagt Cellarius. Oder die Brandkatastrophe vom Mai 1986 in Bad Nauheim, als ein Wohnhaus in Flammen stand und die jungen Leute, die eine Party feierten, aus dem 2. Stock in den Tod sprangen, vor seinen Augen. Anfang 1990 fegte der Orkan Wiebke über Deutschland und legte im Wetteraukreis 14,5 Millionen Festmeter Holz nieder. Cellarius erinnert sich noch gut, wie er sich bei einer Windstärke von 140 Stundenkilometern von Ampel zu Ampel hangelte, um in die Leitstelle zu gelangen.

Hilfe innerhalb von Sekunden

Was das mit dem Beruf des Leitstellen-Disponenten zu tun hat? Eine ganze Menge. »Wer hier arbeitet, ist auch Rettungsassistent und Feuerwehrmann.« Denn wer am Terminal vor den sechs PC-Bildschirmen sitzt, Anrufe entgegennimmt und innerhalb von Sekunden für Hilfe sorgen soll, der muss wissen, wie es dort draußen zugeht. »Ich kenne jeden Baum in der Wetterau«, sagt Cellarius, und man glaubt ihm das sogar.

Geht ein Anruf ein, erscheint dieser auf dem Bildschirm links oben. Klickt man den an, folgt auf dem Bildschirm rechts oben eine Landkarte von Cobra Map. »Die Fotos sind auf dem aktuellsten Stand. Sie werden regelmäßig mit dem Katasteramt abgeglichen«, erklärt Cellarius. Ohne genaue Ortskenntnis hilft das aber nicht weiter. »Man muss wissen, wie die Rettungskräfte auch im Wald an den Einsatzort kommen. Jede Minute kann Menschenleben retten.«

Auf weiteren Bildschirmen kann der Disponent auf jede Menge Daten, Telefonanschlüsse und einen Radar-Doppler mit dem Wetter zugreifen. Die Daten kommen direkt vom Deutschen Wetterdienst. Der Mitarbeiter muss mit diesem Instrumentarium in kürzester Zeit die richtige Hilfsleistung veranlassen: Bei Bränden der Kategorie »F1« (das könnte ein brennender Mülleimer sein) wird ein Feuerwehrauto losgeschickt, bei »F3« (Großbrand) wird Hilfe von Außen hinzugezogen. Schwarzer Rauch ist gefährlich, er enthält Rußpartikel, die sich leicht entzünden. Weißer Rauch bedeutet: Der Brand ist fast gelöscht, »der neue Papst« ist gefunden, wie Cellarius sagt.

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Nur die Ruhe bewahren: Geht ein Anruf ein, vermittelt Leitstellen-Disponent
Carl Cellarius (vorne) mit den richtigen Maus-Klicks die benötigte Hilfe.

Bei Unfällen werden Rettungswagen losgeschickt. 31 Rettungswagen sind im Wetteraukreis tagsüber im Einsatz, nachts sind es 25. In welcher Krankenhaus muss der Verletzte? Wo sind Betten frei? Einer der RTWs hat spezielle Tragen und Stahlseile, um übergewichtige Personen zu bergen. Cellarius und seine Kollegen nennen ihn »Speck-RTW«. »Der wird leider immer öfter benötigt.« Ärgerlich ist der Notruf-Missbrauch durch jugendliche Handy-Nutzer. »Hier arbeiten zwei bis drei Disponenten gleichzeitig. Wenn wie beim letzten Sturm 1500 Notrufe in drei Stunden eingehen, kann man die gar nicht alle bedienen. Kommen dann noch Missbräuche hinzu, gefährdet das Menschenleben.«

Cellarius erzählt und erzählt, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, weiß immer wieder neue Anekdoten und zeigt, dass man diesen Job nicht ohne Begeisterung machen kann. Nur die Einsatzzahlen von 2014 weiß er nicht auswendig, aber dafür hat er sein »Chefchen«, Kreisbrandmeister Matthias Nickel. Der listet über 113.000 Anrufe, 72.000 Einsätze, 41.000 RTW-Fahrten und 799 Brände auf. »Da muss man einen kühlen Kopf bewahren«, sagt Cellarius. Im August ist für ihn Schluss, nach 45 Jahren im Rettungsdienstwesen. Wie hält man es so lange mit einem wie ihm aus? »Nach 15 Jahren setzt die Gewöhnung ein, nach 20 der Abstumpfungseffekt«, lacht Nickel, fügt dann aber hinzu: »Er kann anstrengend sein, aber ich kann mir keinen besseren Kollegen vorstellen.«

Quelle: Wetterauer Zeitung online vom 24.03.2015